16. Juli 2023
Allgemein Gelesenes

In Rollen verfallen

„Oh nein, jetzt predigt sie wieder!“ oder „Der mit seinem politischen Aktionismus“ oder „Ich fühle mich wie auf der Anklagebank“. Andere zu bewegen, sich anders zu verhalten, erfodert viel Einsatz, häufig gekoppelt mit einer übersteigerten Emotionalität. Und ist meist erfolglos.

Adam Grant schildert dazu folgendes in seinem Buch „Think Again“:

„Vor etwa 20 Jahren entdeckte mein Kollege Phil Tetlock etwas Eigenartiges. Während wir denken und reden, verfallen wir oft in die Denkweisen von drei verschieden Berufsgruppen: Predigern, Staatsanwälten und Politikern. Mit jeder dieser Denkweise nehmen wir eine bestimmte Identität an und verwenden bestimmte Tools. Wir schalten in den Predigermodus, wenn Überzeugungen in Gefahr sind, die uns heilig sind. Wir halten Predigten, um unsere Ideale zu schützen und zu propagieren. Wir schlüpfen in den Modus des Staatsanwalts, wenn wir Fehler in der Argumentation anderer entdecken: Wir bringen Argumente vor, um ihnen zu zeigen, dass sie sich irren, und um unseren Fall zu gewinnen. Wir wechseln in den Politikermodus, wenn wir ein Publikum überzeugen wollen: Wir kämpfen um die Zustimmung unserer Wählerschaft.“

Die Gefahr liegt darin, dass wir so sehr in diesen Rollen aufgehen, dass wir uns nicht die Mühe machen, unsere eigenen Ansichten zu überdenken. Wir predigen, wir klagen Menschen an, Unrecht zu haben, wir wollen sie auf unsere Seite ziehen.

Tetlock schlägt vor, dass wir stattdessen bewusst die Rolle eines Wissenschaftlers einnehmen können – anzweifeln, was wir wissen oder glauben zu wissen, neugierig zu sein, für Aktualisierungen der eigenen Ansichten bereit zu sein: „Wie ein Wissenschaftler zu denken, beinhaltet mehr als nur unvoreingenommen zu reagieren. Es bedeutet, aktiv unvoreingenommen zu sein.“   

Ich beobachte mich jetzt häufiger, in welchen Situationen ich als Predigerin, Politikerin oder Staatsanwältin auftrete. Denn  wir haben es in der Hand, uns selbst zu reflektieren, erstmal bei uns zu bleiben, an uns zu arbeiten. 

Manchmal verändern sich mit der eigenen Weiterentwicklung dann auch andere um uns herum.

Und falls wir doch eine Rückmeldung auf ein Verhalten geben, müssen wir zumindest nicht die Gegenreaktion fürchten: „Wieso? Das machen Sie doch auch!“.