09. Juli 2020
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Reflexion „Macht Paradox“

Sind die Mächtigen dieser Welt mit ihrem erschütternden Verhalten Ausnahmen? Oder macht Macht mit jedem von uns etwas – hin zum Negativen? Das ist eine spannende Frage. Eigentlich haben die Machtvollen es nicht nötig zu lügen, zu betrügen, Geld beiseite zu schaffen, andere klein zu machen, sich unflätig zu verhalten.

Warum steigen in Unternehmen Kollegen die Karriereleiter hinauf und werden dann plötzlich zu den Menschen, die man sich gerade nicht als Führungskraft gewünscht hat, die vorher ganz anders waren? Eine Antwort liefert das Buch „Das Macht Paradox“ von Dacher Keltner.

Der Schritt vom Machterwerb bis hin zum Machtmissbrauch scheint ein recht kleiner zu sein. Den Machtvollen ist der meist gar nicht bewusst. Es verschiebt sich etwas, die Aufmerksamkeit von den anderen weg zu sich selbst. Bis zu der Überzeugung, man hätte aufgrund seiner Einzigartigkeit dieses Machtverhalten halt auch verdient. Keltners zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen liefern dafür beeindruckende Belege.

Soweit zum Buch, was aber tun? Wir könnten uns selber beobachten, ob wir anderen auch mit zunehmender Macht noch wirklich zuhören. Fallen wir ihnen möglicherweise sofort und immer wieder ins Wort, weil wir es besser wissen? Und wir können andere nach unserem Verhalten fragen.

Wir könnten zu dem zurückkehren wollen, das uns eigentlich zu unserer Macht verholfen hat: Echtes Interesse am anderen, Freundlichkeit, Gelassenheit, zuhören können, andere anerkennen, achten, sich selber zurücknehmen, Großzügigkeit, Fairness, Verlässlichkeit und Taktgefühl.

Denn Macht wird einem – mit wenigen Ausnahmen – verliehen. Es steigen im Normalfall nicht die Egoisten, nicht die Korrupten, nicht die, die niemand mochte, nicht die an sich Machthungrigen nur um ihrer selbst willen zur Führungskraft auf.

Viele Führungskräfte nehmen sich zu Beginn ihrer neuen Rolle fest vor, nicht so zu werden wie andere, deren negative Verwandlung sie selber erlebt haben. Was aber, wenn das ein schleichender, vielleicht sogar fast zwangsläufig einsetzender Prozess ist? Wenn paradoxerweise das positive Verhalten, das jemanden ermächtigt hat, sich in der Machtposition ins genaue Gegenteil verkehrt?

Deshalb gehört die Auseinandersetzung zum Thema Macht und dessen Paradoxon in jede Führungskräfteausbildung. Zudem könnten erfahrene Führungskräfte in einem reflektierenden Workshop genauer hinschauen: „Bin ich jetzt wirklich der, der ich als Führungskraft mit Macht werden wollte?“